Man stelle sich vor, eine Frau geht im Jahre 1968 zu einem Reporter und erzählt: „Ich war auf einem Pink Floyd Konzert und da hat mich Roger Waters gefragt, ob ich noch zur After Show Party möchte, ich mochte, und da hat er mir Drogen gegeben und wir hatten Sex. War aber nicht so toll.“ (Womit ich Roger Waters natürlich nicht unterstelle, dass er sowas jemals gemacht hat, obwohl man ihm ja vieles unterstellen kann, insbesondere, dass er Comfortably Numb auf seinen Konzerten so dermaßen uninspiriert spielt, dass man gar nicht mehr fassen kann, was das für ein großartiges Stück ist. Ja, ich habe mir sein Konzert angeschaut, auf Youtube, und ehrlich gesagt, es war nicht so toll. Es war ohne Spannungen, ohne Höhen, mehr so ein Pop Lalala Konzert. Bei den Vorlagen eine echte Herausforderung, aber er ist halt nur ein Bassist und singen kann er auch nicht mehr.)
Nun, der Reporter hätte gefragt: „Schade, aber wo ist jetzt die Story?“
55 Jahre später passiert Ähnliches (wahrscheinlich jeden Tag mehrmals) und eine Ministerin der Partei, die ich gewählt habe, fordert „Awareness Teams“ zum Schutz der Menscheninnen bei Konzerten. Medien, die von der AfD als linksgrünversifftwoke beschimpft werden, überbieten sich in linksgrünversifftwoken Meldungen und Kommentaren, dass Machtmissbrauch im Musikgeschäft ja ganz ganz schlimm ist. Verstörende Anschuldigungen seien das. Sex auf Rock Konzerten. Unfassbar. Als ob es nichts Schlimmeres gäbe als Sex mit Till Lindemann,
Da frage ich mich allen Ernstes, was die liebe Frau denn erwartet hat? After Show Party im Umkleideraum von Till Lindemann: ein tiefgründiges Gespräch über Schiller? Warum sollte er bei der Auswahl des Partners für philosophische Betrachtungen zu Nietzsche und der Freiheit im Allgemeinen wohl auf körperliche Merkmale geachtet haben? Meine Omi sagte immer, wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Ich glaube, ihren Spruch kannte man früher auf der ganzen Welt. Aber sie war auch nie auf einem Pink Floyd Konzert.
Natürlich kann man auch Jahre lang mit einem völlig durchgeknallten, exzentrischen und hochgradig drogenabhängigen Musiker zusammenleben, all die Parties, Drogen, das Geld, die Shows, die Aufmerksamkeit genießen, und sich dann hinterher beschweren, dass Marilyn ein durchgeknallter, exzentrischer und hochgradig drogenabhängiger Mensch ist. Oops. Der ist ein gewalttätiges Arschloch. Niemanden würde das interessieren. Wenn man halt nicht in den 20er Jahren des 21. Jahrhunderts leben würde.
Aber leider leben wir in Zeiten, in denen betreutes Leben nicht nur von oben herab umgesetzt wird, sondern von unten auch gefordert. Da gibt es doch tatsächlich einen breiten Grundkonsens in der „öffentlichen“ Meinung, dass man doch bitte bei Dreharbeiten die Arbeitszeiten einzuhalten hätte. Work Life Balance für den Kameraassistenten, Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die Regieassitentassitentin (m,w,d). Man arbeitet mit dem derzeit erfolgreichsten deutschen Filmproduzenten und -regisseur zusammen, ob man ihn mag und/oder versteht ist da zweitrangig, und beschwert sich, dass der besoffen zur Arbeit kommt und rumschreit? Öffentlich?? Und bekommt auch noch Anerkennung und Zustimmung dafür??? Dietrich Brüggemann, der neben vielem anderen Filmen den großartigen Tatort „Stau“ als Regisseur geschaffen hat, hat in einem sehr unaufgeregtem Gastbeitrag auf welt.de dargelegt, dass Filmschaffen und geregelte Arbeitszeit nun mal nicht zusammenpasst. Und dass es, wie überall auf der Welt, Menschen gibt, die Anstand und Respekt haben, und solche, die es nicht haben. Bist Du Bäcker und der einzige Bäckermeister im Dorf ist ein Arschloch, hast Du entweder einen Scheißarbeitsplatz oder du ziehst um. Wenn Du einen Film mit Till Schweiger drehen willst, hast Du einen Scheißarbeitsplatz, aber muss man ja nicht wollen. Und wenn man die Aura des Filmsets haben will, muss man auch die Aura eines Filmsets ertragen können. Sonst ab ins Großraumbüro.
Ich hatte mal eine Kollegin, Anfang der 2000er, die für ein paar Monate Groupie (so sagt man wohl) einer relativ bekannten Band aus Berlin war. Sie stand nicht auf Sascha, sondern auf Alec, und hatte auch viele nette Abende auf den After Show Parties. Jedes Wochenende fuhr sie den Jungs hinterher und bezahlte wohl auch relativ wenig Geld für Eintritt und Hotel. Blöd nur, dass plötzlich eines abends weder Alec noch Sascha sich erinnern konnten, sie jemals gesehen zu haben. Arschlöcher halt, hat sie auch tief getroffen. Aber es gab weder facebook, noch entsprechende StudiVZ Gruppen für das Thema, und niemals hätte sie ihre Enttäuschung und Demütigung öffentlich gemacht. Anstand halt.
So long Chris
P.S. Das Lied „Money for Nothing“ (and chicks for free) steht übrigens auf Platz 4 der größten Hits der 80er. Hat sich auch keiner beschwert.